Der zweite Akt beginnt im August 2014. Eine Sonde in Frank Detlev Buschs Defi ist kaputt und soll erneuert werden. Im Zuge der Voruntersuchungen stellen die Mediziner einen gutartigen Lungentumor fest und entfernen im Oktober 2014 zunächst etwa ein Viertel seines linken Lungenflügels. Dann erhält er die neue Sonde. 14 Tage nach der Operation setzt bei ihm plötzlich ein andauernder Schüttelfrost ein. „Das war schlimmer als bei einem Parkinson-Kranken“ sagt er und ahmt das Schütteln mit seinen Händen nach. In der kardiologischen Abteilung der Universitätsklinik Bonn stellt sich heraus, dass auf der neuen Defi-Elektrode Bakterien sitzen – der medizinische Fachbegriff dafür lautet Endokarditis. Eine Endokarditis verläuft mit dem Blutstrom weiter in Richtung Herzklappe bis zur Herzinnenhaut. In etwa der Hälfte aller Fälle verläuft eine solche Entzündung der Herzinnenhaut tödlich.

„Mein Ohr sagt: Du liegst. Mein Auge sagt: Du stehst. Und dann gibt’s auch noch einen Kurzschluss.“

Frank Detlev Busch. Foto: © Ilona Kamelle-NiesmannFrank Detlevs Buschs Defi und die Elektroden werden entfernt und er erhält stattdessen eine Life Vest. Weil die Ärzte nicht sicher sind, alle Bakterien erwischt zu haben, erhält er außerdem eine intravenöse Behandlung mit acht verschiedenen Antibiotika. „Und eines davon,“ weiß Herr Busch heute, „hat bei mir das Innenohr und das Gleichgewichtsorgan geschädigt.“ Nicht das Medikament an sich war für ihn schädlich – aber die Dauer und die Potenz, in der er es bekommen hat.

Was bei ihm innerlich passiert und wie es sich anfühlt, beschreibt Frank Detlev Busch so: „Mein rechtes Innenohr meldet dem Gehirn: Ich liege. Mein Auge meldet aber: Ich sitze, ich stehe, ich bewege mich. Diese unterschiedlichen Informationen kann das Gehirn nicht verarbeiten. Zusätzlich kann es aber auch noch passieren, dass in dem Nerv, der von meinem linken Ohr aus zum Gehirn geht, ein Kurzschluss entsteht. Dieser Nerv sitzt ganz nah an einer Arterie und diese Arterie bewegt sich ja mit dem Puls. In dem Moment, wo die Arterie diesen Nerv berührt, kommt eine dritte Meldung in meinem Gehirn an, die es nicht einordnen und nicht verarbeiten kann. Dabei handelt es sich um eine Schwindelmeldung. Entweder, es dreht sich alles, oder es schwankt alles. Manchmal habe ich das Gefühl, die Wand kommt auf mich zu, manchmal komme ich auch auf die Wand zu.“

„Es kann besser werden – aber nie wieder gut.“

Herr Busch kann unterscheiden, ob die Wand auf ihn zukommt oder ob er auf die Wand zugeht. Er weiß auch, in welchen Situationen dieses Phänomen besonders auftritt. Zum Beispiel, wenn er aus dem Dunklen ins extreme Helle kommt oder anders herum. Soll er sich in der Dunkelheit bewegen, funktioniert auch das schlecht. Tritt er aus einem engeren Flur in einen weiteren Raum, ebenfalls. Immer muss er deshalb darauf achten, dass er sich irgendwo festhalten kann. Findet er nichts, nimmt er seine Arme balancierend zur Hilfe wie ein Artist auf einem Hochseil. Er nennt es „seine Mitte finden“ und bleibt dazu so lange stehen, bis sich in seinem Gehirn alles wieder beruhigt hat. Das kann 10 Sekunden dauern, aber Herr Busch muss auch schon mal zwei Minuten warten. Je nachdem, wie die Situation gerade ist. Es hängt auch davon ab, ob er sich vorher schon länger bewegt hat, oder ob er gerade erst aufgestanden ist. Herr Busch weiß mittlerweile, das dieses Phänomen irreversibel ist: „Das heißt, es bleibt bis zu meinem Todestag so. Es kann zwar besser werden, aber es kann nie ganz geheilt werden. Das Innenohr ist nicht operabel. Man kann daran nichts machen.“

Am liebsten wieder mit Menschen arbeiten

Wie geht es jemandem, der so klar und deutlich sieht, dass sein Leben sich wahrscheinlich unwiderruflich verändert hat? Frank Detlev Busch übt. Tagtäglich eignet er sich Strategien und Taktiken an, die ihm langfristig helfen sollen, wieder in seiner Mitte zu bleiben. Es ist ein großes Selbstexperiment, das er sich auferlegt hat und mit einem bewundernswerten Langmut durchhält. Therapiemethoden oder Therapeuten, die ihn wieder ins Lot bringen, hat er rings um seinen Wohnort Bonn bislang nicht gefunden. Im Gegenteil: Im ersten Jahr seiner Folgeerkrankung fühlte er sich eher als verrückt abgestempelt. Ein Arzt verstieg sich sogar zu dem Vorwurf, er wolle früher in Rente gehen und habe keine Lust zu arbeiten. Dabei kann Frank Detlev Busch sich nichts Besseres und Schöneres vorstellen, als in seinen Beruf als Altenpfleger zurückzukehren und „seine Senioren“ sozial zu betreuen – für ihn ein sträflich vernachlässigtes Feld in der „Sauber-und-Satt-Welt“ vieler Pflegeeinrichtungen. Eine Perspektive, dass er einmal wieder arbeiten geht, hat er allerdings im Augenblick nicht.

Kurz vor der Tagung 2016 war er in der Essener Uniklinik. Fünf Tage hat man ihn dort gründlich untersucht. Seitdem weiß er auch von den Wechselwirkungen zwischen der Arterie und dem Nerv über seinem linken Ohr. Und dort hieß es, es gebe eine spezielle Art von Krankengymnastik. Sie bewirke, dass sich das Gehirn auf die veränderten Nachrichten einrichtet. Damit hofft Herr Busch, die Auswirkungen seiner Beeinträchtigung langfristig zu mildern. Er ist sich bewusst, dass das Jahre dauern kann. Doch erst einmal muss er schauen, wie er diese Therapie für sich organisiert. Sie wird im Augenblick deutschlandweit nur von etwa 10 Krankengymnasten angeboten. Ein Rezept hat er bereits in der Tasche, aber die nächstgelegenen Therapeuten sitzen in Wiesbaden und Hannover. In Bonn oder der näheren Umgebung seines Wohnortes gibt es niemanden.

Wie hat sich das Leben von Herrn Busch verändert?

„Mit Ausnahme der Tatsache, dass ich nicht mehr arbeiten gehe, versuche ich mein Leben ganz normal fortzuführen. Ich bin in Bonn in einer Selbsthilfegruppe für Defi-Patienten. Gibt es dort Veranstaltungen, gehe ich hin. Wenn Herztag ist, bin ich mit dabei.“ Von der Uni-Klinik in Bonn wird Frank Detlev Busch häufig angerufen, um dort mit unentschlossenen Patienten über die Implantation eines Defis zu sprechen. So oft es geht, versucht er auch, spazieren zu gehen. Möglichst ohne Stock und ohne Rollator. Auch dieses Training hat sich Herr Busch selbst auferlegt. Anfangs hatte er einen Stock, aber als er dann darüber stolperte, waren sowohl seine Rippen als auch das Aggregat seiner Life Vest kaputt. Da hat er sich an die Zeit erinnert, als er aktiv Judo betrieb und vertraut seitdem auf seine Falltechnik. „Wenn ich falle, dann versucht ich immer, über die Schulter abzurollen. Ich versuche, das ganz bewusst zu steuern und bisher hat das – toi, toi, toi – auch geklappt.“ Inständig hofft er im Augenblick darauf, dass er die Krankenkasse davon überzeugen kann, ihm ein Behindertenfahrrad zu genehmigen. Dann könnte er wieder seinem großen Hobby, dem Fahrradfahren, nachgehen.

Wie schafft man das: aus dem tiefen Tal in die Zukunft zu schauen?

Man fragt sich, wie ein Mensch es schafft, so positiv mit seiner Situation umzugehen. Äußerlich schient es, dass er diese Kraft leicht aufbringt, denn wer Herrn Busch kennen lernt, der sieht sich einem fröhlichen Menschen gegenüber, den so leicht nichts umhauen kann – auch wenn das bei seinen Schwindelattacken fast zynisch klingt. „Damals“, sagte Herr Busch, „als ich meinen ersten Defi bekommen habe, das war ein Schock für mich. Heute kann ich ganz offen darüber reden: Ich habe mir damals psychologische Hilfe geholt. Ich saß in einem ganz, ganz tiefen Tal und kam mit der Situation überhaupt nicht klar.“ Durch den Defi durfte er seine damalige Arbeit nicht mehr ausüben, war arbeitslos und so depressiv, dass er auch an Selbstmord dachte. Ein Psychologe, den er über Bekannte kennen lernte, half ihm aus seinem Tal heraus. Über das Internet lernte er die Defi-Liga kennen. Nach und nach verbesserte sich seine Situation. Was im besonders hilft, ist der Austausch mit Freunden, die ihm ermunternde Postkarten senden. Auf ihnen stehen Sätze wie: „Der Glaube an Wunder kann Unmögliches möglich machen.“ oder: „Wer kämpft, kann verlieren, aber wer nicht kämpft, der hat bereits verloren.“ Aus Sprüchen wie diesen zieht Frank Detlev Busch die Kraft, immer weiterzumachen. Zu kämpfen, wie er sagt. Dazu gehört auch, dass er hofft, doch noch wieder arbeiten zu können. Seine ehemalige Chefin unterstützt und ermuntert ihn, so oft wie möglich „sein“ ehemaliges Altenheim zu besuchen. „Sie sieht mich mit meinen Erfahrungen nicht als Kranken, sondern als Vorbild für Menschen, die ins Seniorenheim kommen und aufgeben.“ Und das scheint etwas, was Herrn Busch innewohnt: Er versucht, in jeder Situation ein Vorbild zu sein. Und wenn man ihn hier auf der Tagung der Defi-Liga mit den anderen beobachtet, kann man nur sagen: Hut ab, Herr Busch!

Text: Birgit Schlepütz
Fotos: Ilona Kamelle-Niesmann