Hinter jedem Defi lebt ein Mensch

„Kardiologen und Kardiologinnen“, begann Professor Burgmer, „tun ihren Patienten etwas Gutes, wenn sie einen Defi implantieren. Rein faktisch und medizinisch ist das natürlich auch so. Ist ein Defi also erfolgreich implantiert und macht keine Probleme, ist aus ihrer Sicht alles tipptopp. Auch das ist faktisch richtig. Und trotzdem stimmt das nicht immer.“ Denn sowohl ein überlebter Plötzlicher Herztod, als auch die Diagnose ‚Risikopatient‘ oder letztlich die Implantation eines Defis seien dauerhaft lebensverändernde Einschnitte. Hier gebe es klare Vorher-Nachher-Situationen, die sich grundlegend voneinander unterscheiden. „Solche Krankheitssituationen verarbeitet jeder Mensch anders und mit den ihm oder ihr verfügbaren Verhaltensmustern. Wir nennen dies Coping-Strategien.“

Wie Krankheiten das Leben verändern

Wie vielfältig die Veränderungen sind, mit denen Defi-Patientinnen und Patienten umgehen müssen, erläuterte Professor Burgmer an zahlreichen Beispielen: Plötzlich muss man sich zum Beispiel mit dem Gesundheitssystem auf eine Weise auseinandersetzen, die weit über den regelmäßigen Hausarztbesuch oder die jährlichen Routine-Checks hinausgehen. Dann sind da die medizinischen Konsequenzen, die in der Erkrankung begründet sind. Dazu zählen etwa die verminderte Belastbarkeit und mögliche Behinderungen. Beruflich stellt sich die Frage, ob man die bisherige Arbeit in der gleichen Form fortführen kann – und als Folge davon, wie man künftig finanziell aufgestellt sein wird. Zugleich ist Arbeit für viele Menschen sinnstiftend, so dass sich durch ihren etwaigen Verlust auch die Sinnfrage neu stellen kann. Gleiches gilt auf der spirituellen Ebene: Nicht wenige Menschen, die sich durch eine lebensverändernde Krankheit mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert sehen, suchen nach dem Sinn ihres Lebens oder fragen sich: Warum gerade ich? Und last but not least sind auch die Partnerschaft, die Familie und das soziale Umfeld betroffen. In aller Regel bleiben Angehörige aber mit ihrer Situation alleine. Je nach Alter der Patientinnen oder Patienten rückt zudem die Frage nach einem Kinderwunsch in ein neues Licht.

Das Ziel: Lebensqualität

Eine der größten Herausforderungen ist es also, mit oder trotz der lebensverändernden Krankheit die Lebensqualität wiederzuerlangen, zu stabilisieren oder zu verbessern. Die gute Nachricht, die Professor Burgmer mitbrachte: „Dazu ist man bei Psychotherapeuten gut aufgehoben. Denn sie betrachten nicht nur das organische Problem, sondern helfen Menschen, möglichst zufriedenstellend damit umzugehen.“ Viele Menschen verfügen bereits über Ressourcen, um schweren Situationen gut zu begegnen, das heißt: um Stress auslösende Situationen durch Verhalten zu verändern und wieder in ein emotionales Gleichgewicht zu finden. Zu diesen Coping-Strategien zählen zum Beispiel: die eigene Situation zu verdrängen oder zu leugnen; möglichst viele Informationen zu sammeln, um Kontrolle zurückzugewinnen; nach einer tieferen Bedeutung der Erkrankung zu suchen; das Selbstwertgefühl durch positive Illusionen zurückzugewinnen; sich zum Beispiel in einer Selbsthilfegruppe sozial einzubinden; die Lage humorvoll zu betrachten; das jetzige Leben positiv neu zu bewerten.

Coping-Strategien

Je mehr solcher Coping-Strategien einem Menschen zur Verfügung stehen, um so mehr Bewältigungsoptionen hat er. All dies geschieht nicht bewusst und nicht von heute auf morgen, sondern hat eher Prozesscharakter. So ist es zunächst einmal ganz normal, kurz nach einem Ereignis oder einer Implantation emotionale Hochs und Tiefs zu durchleben. Ähnlich wie bei einem Trauerprozess hat man schließlich im übertragenen Sinn den Verlust des „gewohnten Lebens“ zu verarbeiten. Spätestens aber, wenn die Tiefs sich verstetigen, ist es an der Zeit, Hilfe zu suchen. Gleiches gilt auch dann, wenn die gewohnten Coping-Strategien nicht helfen oder sogar kontraproduktiv sind. Wozu dies führen kann, erläuterte Professor Burgmer am Beispiel der Magersucht: Während es für viele Menschen eine gute Strategie ist, bei Stress Sport zu treiben, ist diese Coping-Strategie für Magersüchtige sogar gefährlich. „Wer also spürt“, so Professor Burgmer, „ich bekomme mein neues Leben nicht gut hin, ist gut beraten, professionelle Hilfe zu suchen. Wichtig ist, dass Ihr Therapeut oder Ihre Therapeutin zu Ihnen passt und Sie in alle Entscheidungen einbindet. So gelingt es, eine konstante Bindung aufzubauen, die Ihnen Sicherheit vermittelt und zur Selbstwirksamkeit verhilft.“ Zum Ende seines Vortrags gab Professor Burgmer den Gästen dann noch einige Anregungen, wie sie mit Zeitmanagement, körperlichen Aktivitäten, sozialer Unterstützung, Entspannungstechniken, der Imagination schöner Situationen oder auch dem repetitiven Beten Stress aus eigener Kraft lindern können.