Was passiert eigentlich, wenn man eine Schwerbehinderung beantragt?

Grundsätzlich gilt: Geht bei einer deutschen Behörde ein Antrag auf Schwerbehinderung ein, muss sie ihn untersuchen – selbst dann, wenn sie den Antrag in der Sache für unbegründet hält. Die Behörde muss den Antrag so lange untersuchen, bis sie zu einem fundierten Urteil kommen kann. Sie bestimmt dazu, was und wie umfangreich ermittelt wird und ist während der Untersuchung dazu angehalten, alle bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen – ausdrücklich auch diejenigen, die für die Beteiligten günstig sind. Dies regelt der § 20 des zehnten Sozialgesetzbuchs (§20 SGB X). Die Beweismittel, die die Behörde für ihre Untersuchungen heranzieht, regelt § 21 SGB X. Dort heiß es, dass sie alle Beweismittel heranzieht, die sie nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen für die Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Dazu zählen unter anderem Auskünfte und Dokumente, Aussagen von Zeugen und Sachverständigen, Urkunden und Akten sowie der Augenschein. Alle Beteiligten sollen bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken. Sachverständige und Zeugen können dazu sogar verpflichtet werden. Zur Beweismittelbeschaffung gehört außerdem, dass die Behörden über die Finanzämter umfangreiche Auskünfte über die finanzielle Lage der Antragsteller und der im Haushalt lebenden Familienmitglieder einholen dürfen: Einkommen, Vermögen, Sozialleistungen, Unterhaltsberechtigungen, Schulden, Unterhaltspflichten. Während des Verfahrens ist ein Antragsteller jederzeit berechtigt, Einsicht in die Akten zu nehmen. Am Ende des Verfahrens trifft die Behörde eine Entscheidung und erlässt einen Bescheid. Dies ist ein hoheitlicher Verwaltungsakt des öffentlichen Rechts.

Was kann man tun, wenn dem Antrag auf Schwerbehinderung nicht stattgegeben wird?

Ist ein Antragsteller mit dem Inhalt des Bescheids einverstanden oder geht nicht gegen ihn vor, so ist er rechtskräftig und bindend. Will er indes gegen den Bescheid vorgehen, muss er gegen den Verwaltungsakt vorgehen. Dies kann er mit Hilfe des Sozialgerichtsgesetzes oder der Verwaltungsgerichtsordnung. Er hat dann die Möglichkeit einer Anfechtungsklage oder einer Verpflichtungsklage. Ein Vorverfahren klärt zunächst, ob eine Klage überhaupt zulässig ist – denn es kann Gründe geben, bei denen der Verwaltungsakt gar nicht in Zweifel gezogen werden darf. Jedes Vorverfahren beginnt förmlich mit einem Widerspruch. Für diesen Widerspruch bleibt nicht viel Zeit: er muss einen Monat nach dem Bescheid schriftlich bei derjenigen Behörde eingereicht werden, die ihn erlassen hat. Erachtet die Behörde den Widerspruch für begründet, muss ihm abgeholfen werden. Ihre Einschätzung dazu legt sie in einem Widerspruchsbescheid schriftlich nieder und gibt diesen den Beteiligten bekannt. Grundsätzlich hat ein Widerspruch eine aufschiebende Wirkung. Das heißt: solange ein Widerspruch anhängig ist, wird die ursprüngliche Entscheidung der Behörde nicht umgesetzt/ vollzogen. Es gibt dazu allerdings Ausnahmen, die in § 86 a und § 86 b des Sozialgerichtsgesetzes geregelt sind.

Die Klage: wenn dem Widerspruch nicht stattgegeben wurde

Nach einem unbefriedigenden Widerspruchsbescheid kann ein Antragsteller binnen eines Monats Klage einreichen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung des Widerspruchsbescheids. Die Klage ist schriftlich beim zuständigen Sozialgericht einzureichen. Auch dann, wenn eine Klage bereits erhoben ist, steht es den Beteiligten offen, sie wieder zurückzunehmen und/ oder einen Vergleich zu schließen. Geschieht dies nicht, stellt das Gericht die Klage zu und fordert die Beteiligten zur schriftlichen Stellungnahme auf. Sind weder rechtliche noch tatsächliche Schwierigkeiten zu erwarten, entscheidet das Gericht dann ohne mündliche Verhandlung per Gerichtsbescheid. Dieser Gerichtsbescheid wirkt wie ein Urteil. Beantragen die Beteiligten jedoch rechtzeitig eine mündliche Verhandlung, gilt dieses Urteil als nicht ergangen. Der Vorsitzende Richter ist dann angehalten, eine mündliche Verhandlung anzusetzen und den Rechtsstreit möglichst in dieser Verhandlung zu erledigen. Zur Vorbereitung dieser Verhandlung können alle Beteiligten Schriftsätze einreichen, die dann in die Beweisführung einfließen. Alle Beteiligten haben jederzeit das Recht auf Akteneinsicht. Die ärztlichen Stellungnahmen werden vom Gericht eingeholt. Für den Kläger fallen in der Regel auch hierfür keine Kosten an. In der mündlichen Verhandlung sind in der Regel nur die Prozessparteien anwesend, da die Sachverhaltsaufklärung schon vorher durch das Gericht erfolgt. Nach gründlicher Erörterung des Falles entscheidet schließlich das Gericht, in dem es ein Urteil fällt. Das Gericht entscheidet nach freier Überzeugung und muss die Gründe für seine Überzeugung in der Urteilsverkündung darlegen.

Welchen Grad der Schwerbehinderung (GdS) können Menschen bei Herz- oder Kreislaufkrankheiten erwarten?

Für die Bemessung des GdS ist weniger die Art der Erkrankung maßgeblich, sondern die Leistungseinbuße, die eine Herz- oder Kreislaufkrankheit hervorruft. Dazu beurteilen die Ärzte das klinische Krankheitsbild sowie die funktionellen Einschränkungen des Patienten im Alltag. Hinzu kommen weitere Richtwerte und Daten, die das klinische Bild vervollständigen.

Einen GdS von 50 bis 70% können Menschen erwarten,

  • die bereits bei einer leichten Belastung unter einer Leistungsbeeinträchtigung leiden (Spazierengehen (3-4 km/h), Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit)
  • Beschwerden und pathologische Messdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt (mind. 2 Min.)
  • Bei Kindern und Säuglingen deutliche Trinkschwierigkeiten, deutliches Schwitzen, deutliche Tachy- und Dyspnoe, deutliche Zyanose, rezidivierende pulmonale Infekte, kardial bedingte Gedeihstörungen, Beschwerden und pathologische Messdaten bei Ergometerbelastung mit 0,75 Watt/kg Körpergewicht

Einen GdS von 10% können Menschen erwarten

  • nach der Implantation eines Herzschrittmachers

Einen GdS von mindestens 50% können Menschen erwarten

  • nach der Implantation eines Kardioverter-Defibrillators

Auch nach dem Arbeitskreis nutzten die Teilnehmer_innen die Gelegenheit, um mit Rechtsanwalt Ralph Jurisch ins Gespräch zu kommen.Auch nach dem Arbeitskreis nutzten die Teilnehmer_innen die Gelegenheit, um mit Rechtsanwalt Ralph Jurisch ins Gespräch zu kommen.

 

Text: Birgit Schlepütz
Fotos: Ilona Kamelle-Niesmann