Die Frage, ob eine psychische Belastung Ursache oder eher Folge einer kardiologischen Erkrankung ist, wird von Fall zu Fall anders zu beantworten sein. Wichtig bleibt aber die grundsätzliche Erkenntnis, dass es eine Wechselwirkung zwischen Psyche und Körper gibt: So können sich bestimmte Symptome wie Angst oder Depression einerseits auf den Körper auswirken. Bekannt ist zum Beispiel, dass Depressionen das Risiko einer Koronaren Herzkrankheit erhöhen. Andererseits kann das Erleben bestimmter körperlicher Erkrankungen zum Beispiel Angststörungen oder Depressionen hervorrufen. Bereits das Medizinstudium berücksichtigt heute, wie wichtig psychische Faktoren bei nahezu allen körperlichen Erkrankungen sind, so dass die Psychologie und die Medizin heute viel enger verzahnt sind als noch vor Jahren.
Psychokardiologie – ein junges Wissenschaftsfeld
Grundsätzlich riet Sebastian Hermes den Tagungsgästen, die der Defi seelisch belastet, erst einmal einen Kardiologen aufzusuchen. Seiner Erfahrung nach nehmen sie die Sorgen von Patienten ernst und versuchen, sie mit dem Patienten gemeinsam zu besprechen. Wer darüber hinaus Behandlungsbedarf habe, sei gut beraten, sich an ärztliche oder psychologische Psychotherapeuten zu wenden, die sich auch mit einem ICD auskennen. Sebastian Hermes hat zum Beispiel dazu eine psychokardiologische Zusatzausbildung absolviert, die dem Curriculum der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie folgt und von ihr anerkannt ist. Die Psychokardiologie ist ein noch junges Wissenschaftsfeld, das sich intensiv mit der Wechselwirkung zwischen Herz und Psyche beschäftigt.
Bei Sorgen: besser keine Selbstdiagnose
Aktuelle Erhebungen zu den Erwerbsminderungsfrühberentungen und Arbeitsunfähigkeitszeiten zeigen, dass es einen drastischen Zuwachs psychischer Erkrankungen gibt. Die Bandbreite ihrer Ausprägungen ist dabei ähnlich vielfältig wie die der körperlichen Erkrankungen. Gerade deshalb sei es wichtig, sich an Experten zu wenden, anstatt Selbstdiagnose zu betreiben. Sie verlängert das Leid meist unnötig. Dank prominenter Beispiele ist hier ein begrüßenswertes Umdenken im Gange, so dass psychische Probleme heute weniger stigmatisiert werden, als es noch vor Jahren der Fall war. Das ist auch insofern von großem Belang, da Menschen mit schweren psychischen Störungen (zum Beispiel Drogenabhängigkeit oder Psychosen) im Durchschnitt eine um zehn Jahre verringerte Lebenserwartung haben.
Risikofaktoren für psychischen Störungen
Die häufigsten psychischen Störungen bei kardiologischen Erkrankungen sind die Angststörungen, die Traumafolgestörungen und die depressive Störungen. Ganz grundsätzlich stellt die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in ihrem Positionspapier die chronischen, episodischen und akuten Risikofaktoren zusammen und schreibt:„Psychosoziale Belastungsfaktoren wie Depression, Angst oder niedriger sozialer Status sind mit einem erhöhten kardiovaskulären Erkrankungsrisiko und mit einem ungünstigeren Verlauf nach Krankheitseintritt verbunden.“[1] In ihren Zusammenfassenden Empfehlungen schreibt sie über die Gruppe der ICD-Patienten:„Das Ausmaß an affektiven Störungen, die Patienten mit ICD im Verlauf der Erkrankung vor und nach der ICD-Implantation erleiden, ist klinisch bedeutsam.“[2] Deshalb empfiehlt die DGK, dass es für betreuende Kardiologen obligat sein sollte, die psychosozialen Aspekte der ICD-Technologie zu kennen, sie in die Betreuung zu integrieren sowie krankheitsbedeutsame negative Affekte und Krisen bei ihren Patienten zu erkennen und ansprechen zu können. Bei schwerwiegenden Angststörungen empfiehlt die DGK den Kardiologen, Psychotherapeuten hinzuzuziehen, die bevorzugt eine verhaltenstherapeutische Ausbildung haben – auch wenn die Schlüssigkeit für eine Empfehlung spezifischer Psychotherapieverfahren bei ICD-Patienten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (2008) nicht hoch war.
Harmonie ist gut für uns
Was von Patienten leider immer noch unterschätzt wird, berichtete Sebastian Hermes, seien konfliktbelastete Beziehungen und Einsamkeit. Dabei wirke das Gefühl der Einsamkeit in etwa so stark auf unsere Gesundheit wie der Konsum von 15 Zigaretten pro Tag. Und auch für die Beziehung gelte: Harmonie ist gut für uns. Denn Stress kann als Folge bspw. depressive Störungen, Anpassungsstörungen, somatoforme Störungen oder Angststörungen nach sich ziehen.
Was ist Angst? Was ist ein Trauma?
Abschließend ging Sebastian Hermes deshalb speziell auf zwei wesentliche Begriffe ein: die Angst und das Trauma. Angst ist zunächst einmal eine Basisemotion, die alle Säugetiere kennen – und von der sie auch profitieren: denn Angst ist grundsätzlich (über)lebensnotwendig und hat deshalb eine wichtige Schutzfunktion. Hätten wir zum Beispiel in der Entwicklungsgeschichte keine Angst vor gefährlichen Tieren oder Feinden entwickelt, stünde es vermutlich schlecht um unseren Fortbestand. Anders ausgedrückt ist eine totale Angstfreiheit genauso ungesund wie zu viel Angst. Pathologisch wird Angst immer erst dann,
- wenn es gar keine reale Bedrohung gibt
- wenn sie zu lange andauert oder zu oft auftritt
- wenn wir eine starke und andauernde Erwartungsangst erleben
- wenn wir aus Angst aufhören, zu handeln
- wenn sie persönliches Leid verursacht und uns in unserer Lebensführung hindert
Auf den Menschen bezogen, sind die Veranlagung zur Angst und das Empfinden von Angst individuell verschieden und auch (aber nicht nur) genetisch mitbedingt. Entscheidend ist deshalb, wie wir mit unseren Ängsten umgehen. Kommen wir mit ihnen nicht zurecht, sind wir gut beraten, sich an Menschen wie Sebastian Hermes zu wenden.
Als psychisches oder seelisches Trauma oder Psychotrauma wird in der Psychologie und Psychiatrie (oder auch Psychosomatischen Medizin) eine seelische Verletzung bezeichnet. Das Wort Trauma kommt aus dem Griechischen und bedeutet allgemein Verletzung, ohne dabei eine Festlegung zu treffen, wodurch diese hervorgerufen wurde. In der Medizin wird mit dem Begriff Trauma eine körperliche Verwundung bezeichnet, die durch einen Unfall oder eine Gewalteinwirkung hervorgerufen wurde. (Quelle: Wikipedia) Bei Defi-Patienten kann es zu durch die Indikation für einen ICD zu einem Trauma kommen. Auch Fehlfunktionen des Defis können Traumata auslösen. Mit dem Trauma einher geht das Gefühl, das Vertrauen in den eigenen Körper zu verlieren. Die Behandlungsmöglichkeiten eines Traumas sind mehrschichtig und umfassen derzeit
- die medikamentöse Behandlung, zum Beispiel mit Andidepressiva
- Psychotherapie, die sich in die drei Richtlinienverfahren aufteilt:
- Verhaltenstherapie
- Analytische Psychotherapie
- tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Zum Abschluss finden Sie hier noch einmal zusammengestellt die im Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie zur „Bedeutung von psychosozialen Faktoren in der Kardiologie“ (PDF-Datei) genannten Risikofaktoren:
Chronische Risikofaktoren:
Als der stärkste chronische Risikofaktor gilt ein niedriger sozialer Status – bezogen auf die Ausbildung, das Familieneinkommen und die beruflichen Position. Auch der chronische Stress am Arbeitsplatz gilt als Risikofaktor. Hervorgerufen wird er zum Beispiel durch hohe Anforderungen bei geringem eigenen Entscheidungsspielraum, hoher Verausgabung bei geringer Belohnung sowie mehrjähriger Schichtarbeit in Verbindung mit Nachtarbeit oder exzessiven Überstunden. Bei berufstätigen Frauen kommt aufgrund von Doppelbelastung zudem häufig Stress durch familiäre Konflikte hinzu.
Episodische Risikofaktoren:
Depressive Erkrankungen, aber auch die ihnen ähnliche vitale Erschöpfung mit starker Ermüdung, Schlafstörungen und dem Gefühl der Demoralisierung und Reizbarkeit zählen zu den episodischen Risikofaktoren. Außerdem anhaltend negative Affekte wie Angst, Feindseligkeit oder Ärgerreaktionen.
Akut wirksame Risikofaktoren
„Akute psychische Belastungen können Herzkrankheiten auslösen, spielen jedoch eine deutlich geringere Rolle als körperliche Auslöser. Trigger können auch Naturkatastrophen wie Erdbeben sowie persönliche Niederlagen oder bedeutende Lebensereignisse sein. Insbesondere für die akute Infarktsituation ist die Tendenz zur Verleugnung ein risikosteigernder Faktor – denn sie kann dazu führen, dass Patienten bedrohliche Vorzeichen wie lang anhaltende Angina-Pectoris-Beschwerden nicht wahrnehmen bzw. verharmlosend interpretieren.
Text: Birgit Schlepütz
Foto: Ilona Kamelle-Niesmann
Quellen:
Vortrag Dipl.-Psych. Sebastian Hermes
[1] Der Kardiologe 4, 2008, S. 276 ff.
[2] zusammengefasst nach: Der Kardiologe 4, S. 276 ff.