„Auf jeden Fall ist es ein sehr individuelles Thema“, sagte Frank Neumann in einem anschließenden Gespräch. Denn wo Gott oder der Glaube dem einen eine Hilfe seien, habe er für den anderen vielleicht gar keine Bedeutung. „So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Antworten, die sie aus ihrem Glauben auf die Herausforderungen einer Krankheit finden. Die einen fühlen sich in solchen Augenblicken Gott nahe und erleben, dass er eine Kraftquelle ist. Die anderen fragen sich, ob es ihn überhaupt gibt, weil sie eine solche Krankheit erleben müssen. Vielleicht, weil sie es fürchterlich ungerecht finden.“

Warum gerade ich?

Das Thema Gerechtigkeit führt nicht nur zu Fragen wie: Warum gerade ich? Manche Patienten fragen sich sogar: Was habe ich falsch gemacht, dass ich mit dieser Krankheit bestraft werde? Sie verknüpfen damit ihre Krankheit mit einer moralischen Schuld, die sie im Leben auf sich geladen haben. Als Christ begehrt Frank Neumann in solchen Fällen auf und bietet stattdessen ein Gottesbild an, wie es in der Bergpredigt beschrieben wird. Dort heißt es: Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten. Und er lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte. „Dieses Bild bringt die Menschen zum Nachdenken und nicht selten zu einer neuen Haltung gegenüber dieser Schuld- oder Gerechtigkeitsfrage. Denn wenn alles, was unter Gottes Himmel passieren kann – ob die Sonne scheint oder ob es heftig regnet – offenbar jeden von uns treffen kann, ist das unabhängig von seinem bisherigen moralischen Verhalten.“ Auch die Gäste des Arbeitskreises hatten sich solche Frage zum Teil schon gestellt und mit ganz verschiedenen Perspektiven beantwortet. Ein Teilnehmer drückte seine Haltung zum Beispiel so aus: “Gott bürdet mir das auf, gerade weil er mich liebt. Er weiß, dass ich so stark bin, diese Bürde zu tragen.“

Ein eigenes Bild von der Ewigkeit

Im Klinikalltag erlebt Frank Neumann immer wieder, dass der Glaube Menschen hilft, ihr Schicksal anzunehmen und sogar dem Tod friedlich entgegen zu gehen. „Diese Menschen glauben, dass sie nicht ins Nichts fallen. Dass da ein Gott ist, der ihnen das Leben gegeben hat und in dessen Ewigkeit und Nähe sie zurückkehren.“ Sich ein eigenes und individuelles Bild dieser Ewigkeit zu machen, hält Frank Neumann für enorm hilfreich. Das Visualisieren eines schönen Ortes helfe, dem Nichts ein Gesicht zu geben und in ein Etwas zu verwandeln – ob es nun eine Insel ist oder ein Berg, ein Haus oder ein Segelboot, dass ins offene Meer ausläuft. „Die Bilder der Ewigkeit und Nähe sind so individuell, wie die Menschen selbst.“

Frieden und Wahrhaftigkeit

Obwohl es wahrlich bittere Wege zum Tod gibt, erfährt Pfarrer Neumann immer wieder, dass bei Patienten in der Nähe des Todes ein Fenster aufgeht, das sie wahrhaftig, offen und ehrlich miteinander umgehen lässt. „Das ist eine große Chance, Frieden mit etwas oder mit jemandem zu schließen. Und dann ist alles gut.“

 

Text: Birgit Schlepütz
Foto: © Ilona Kamelle-Niesmann